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Abschlusskrisen

Die Abschlusskrise bei einer Dissertation

Eigentlich ist die Dissertation schon fast fertig. Eigentlich. Fast. Und dieses „eigentlich“ und „fast“ zieht sich schon viel zu lange hin, belastet enorm, wirkt sich irgendwann auf alle anderen Lebensbereiche und -planungen aus. Es ist, als würde jemand die Pausentaste gedrückt halten, so dass es weder vor noch zurück geht.

Werner Fiedler und Eike Hebecker (1) haben hierfür den Begriff der Abschlusskrise geprägt. Und dies zeigt: Diese Krise trifft nicht nur einzelne, sondern kommt so häufig vor, dass sie Eingang in Schreibratgeber gefunden hat. Quantitativ messen lässt sich nicht, wie viele Promovierende in dieser letzten Phase feststecken. Denn Abschlusskrisen, wie auch andere Krisen während der Promotionszeit, sind oft mit einem Tabu belegt: Darüber redet man nicht. Schwierigkeiten zuzugeben gilt im Universitätskontext ohnehin als Schwäche, zumal wenn man sich mit einer begonnenen Dissertation in die heiligen Hallen der Wissenschaft vorgewagt hat. Genau dieses Tabu macht es aber so schwer, sich Unterstützung zu holen und zugleich auch festzustellen: ich bin ja gar nicht allein damit, andere Promovierende kämpfen genauso.

Wann wird die Abschlussphase zur Krise?

Nicht mehr an der Dissertation zu arbeiten oder sie sogar ganz abzubrechen, führt nicht zwangsläufig zu einer Krise – beispielsweise wenn Sie auch ohne Doktortitel schon im Beruf angekommen sind, sich Ihre Berufsplanung so verändert hat, dass der Titel nicht mehr attraktiv, vielleicht sogar hinderlich ist oder Sie durch andere Qualifikationen besser weiterkommen. Auch kann es äußere, private, familiäre Umstände geben, die Sie nicht beeinflussen können und die doch unmöglich machen, die Arbeit im Moment fertigzustellen.
Von einer Abschlusskrise lässt sich dann sprechen, wenn Sie Ihre Arbeit fertigstellen möchten – und es doch nicht schaffen. Die Gründe dafür sind individuell und entsprechend sind auch die Lösungswege unterschiedlich. Zwei Auslöser treten aber sehr häufig auf:

Berufliche Unsicherheit

Ein Grund für eine Abschlusskrise kann die berufliche Unsicherheit nach der Promotion sein. Vielleicht ist noch ganz offen, wie es danach weitergeht. Oder Ihnen kommen Zweifel, ob Sie das Ziel, z.B. eine Wissenschaftskarriere, erreichen können oder angesichts der Arbeitsbedingungen an Hochschulen überhaupt noch erreichen möchten. Oder Sie stecken mitten im Bewerbungsmarathon und die Unsicherheit, wann, wo und wie es weitergeht, blockiert den Kopf, sich auf die Dissertation konzentrieren zu können. Solche Stadien lassen sich nicht einfach auflösen und sind oft nur schwer auszuhalten. Um dennoch an der Dissertation zu arbeiten, kann hier helfen, sich mit anderen zum Schreiben zu verabreden. Dies klingt banal, aber bewirkt, dass für diese zwei, drei Stunden nur die Dissertation im Mittelpunkt steht und so Stück für Stück weiterwachsen kann.

Der Nobelpreis sollte es schon werden?

Ein anderer Grund für das Steckenbleiben, der mir häufig in meinen Coachings begegnet, ist, dass die Ansprüche an die eigene Dissertation in der Abschlussphase ins Unrealistische geschraubt werden. Auch wenn die durchschnittliche Promotionsdauer vier bis fünf Jahre beträgt (und dies ist nur der Durchschnitt), geistert immer noch die Vorstellung umher, eine Promotion sei in zwei, maximal drei Jahren zu erreichen – was sich auch in der Förderdauer von Stipendien und Forschungsprojekten widerspiegelt. Es gibt viele Gründe, in dieser Zeit nicht fertig zu werden. Doch je länger der Status als Promovierende*r schon anhält oder auch die finanzierte Forschung zurückliegt, desto größer wird der Anspruch, jetzt aber auch den ganz großen Wurf zu machen – um damit rechtfertigen zu können, warum man so lange gebraucht hat. Verstärkt wird dies dadurch, dass oft aus Scham der Kontakt zur Betreuungsperson eingestellt wird, das Kolloquium und Fachtagungen gemieden werden. Und so werden die Menschen, die motivierendes Feedback auf die Arbeit geben könnten, zu einer immer bedrohlicher erscheinenden Masse.

Deshalb: Auch wenn es schwer fällt, halten Sie den Kontakt zum Fach und zu den Betreuer*innen oder aktivieren Sie ihn ganz bewusst wieder. In den meisten Fällen werden die anderen sehr viel wohlwollender auf Ihre Arbeit blicken, als Sie sich vorher ausgemalt haben.

Der erste Schritt raus

Und was passiert, wenn Sie Ihre Schwierigkeiten z.B. im Kolloquium offenlegen? Vermutlich werden Sie bei einigen Ihrer Mit-Promovierenden eine etwas verschämte Dankbarkeit spüren, dass Sie etwas ansprechen, das viele betrifft, sich aber niemand zu sagen traut. Und damit machen nicht nur Sie, sondern auch andere den ersten Schritt aus der Abschlusskrise heraus.

 

(1) Werner Fiedler/Eike Hebecker: Promotionskrisen und ihre Bewältigung, in: Franziska Günauer et al.: GEW-Handbuch Promovieren mit Perspektive. Ein Ratgeber von und für DoktorandInnen. 2. Aufl. Bielefeld 2012, S. 257–272.

 

Schlagwörter

Abschlusskrise, Dissertation, Innerer Kritiker, Schreibblockade, Selbstcoaching, Wissenschaftliches Schreiben

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